Selbsterkenntnisse und Einsichten wie man wohl tickt, können manchmal erstaunlich, manchmal sogar erheiternd sein.
Auf die "richtige Spur" hat mich ursprünglich J. mit ein paar Anmerkungen während eines Telefonates gebracht. Damit kam der Stein ins rollen bzw. Denkprozesse in Gang. Das Ergebnis kann sich insofern sehen lassen, da es von allen Seiten mit denen ich es erörtert habe große Zustimmung findet.
Zuerst werfen wir mal einen Blick auf die normale Midlife-Crisis:
Existenzen, die ein sehr normales Leben geführt haben - Bildung, Ausbildung, Arbeit (gerne mal eine öde oder wenig prickelnde wie Sozialversicherungsfachangestellter oder Bankkaufmann), danach "das Übliche", nämlich feste Freundin, Heirat, Kinder, Häuschen mit Vorgarten oder Eigentumswohnung - ziehen eine Zwischenbilanz.
Was sie sehen: Das Leben war und ist ein langer, eher ruhiger Fluß. Gelegentlich ein paar Stromschnellen. Geburt des ersten Kindes und die ersten paar Jahre danach ständig pleite und übermüdet. Oder mit den Raten für das Häuschen hat man sich verkalkuliert. Aber ansonsten, eben besagter Fluß. Große Gefühle? Aus der Konserve: Film und Fernsehen. Beim All-Inclusive-Urlaub ein Zimmer mit kaputter Klimaanlage bekommen zu haben, schon das größte Drama im Jahr.
Wild sein? Klar, einmal im Jahr an Karneval mal so richtig verwegen ein Piratenkostüm übergestreift und im Gedränge der Kellnerin heimlich in den Hintern gekniffen. Manche sind auch deutlich verwegener. Fußballstadion, alle zwei Wochen Sitze rausreissen; am Montag dann wieder Kfz-Kredite ablehnen oder Dispoverzug bearbeiten.
Dabei jedoch immer das Gefühl, irgendwie fehlt etwas im Leben.
Und dann wird diesen Leuten plötzlich klar, dass die Bahre näher ist als die Wiege. Sie ziehen eine Zwischenbilanz: Frau, Kinder, Haus und Hof, ein paar Kredite ein Jahreswagen der bald abbezahlt ist, ein sicherer und langweiliger Job, die Altersvorsorge in trockenen Tüchern. Insgesamt ruhiges Fahrwasser.
Das Ergebnis ist die Frage: "Soll das wirklich mein ganzes Leben gewesen sein?"
Dann kauft sich das Midlife-Crisis-Opfer plötzlich ´ne Harley oder einen Sportwagen; packt seine Led Zeppelin-Platten oder Rolling Stones-CDs wieder aus der Mottenkiste, versucht seine Chips-und-Bier-auf-der-Couch-Plautze in Lederklamotten zu pressen, oder - die Spielart gibt es ja auch - hört auf zu Joggen oder wie ein bescheuerter Fahrrad zu fahren und haut sich statt Diätgrütze plötzlich wieder Pizza und Bier rein.
Dann muss noch eine 20 Jahre jüngere Freundin her, um die verpassten, langweiligen Dezenien zu überbrücken und nachzuholen.
Und nichts davon klappt. Alles was dabei herauskommt ist der jämmerlich scheiternde Versuch auf einmal cool und verwegen zu sein, wo vorher nur Spießbürgerlichkeit und Mittelmaß war.
Die eigentliche Krise bei der Midlife-Crisis ist nicht, zu versuchen plötzlich zu werden was man nie war. Es ist das Scheitern.
Und was hat es mit meiner invertierten Midlife-Crisis auf sich?
Meine Bahre ist mir mittlerweile auch deutlich näher als die Wiege.
Wenn ich Zwischenbilanz ziehe komme ich zu folgendem Ergebnis:
Beruflich habe ich bis heute mehr potentielle Karrieren nicht ergriffen weil sie zum kotzen waren, oder sie in die Tonne getreten weil ich zu dumm oder arrogantoder zu klug? war um sie richtig zu nutzen, als viele Andere in zwei oder drei Leben hätten.
Ich hatte von "Emergency Room" über "Stromberg" und "Monk" bis "Noble House" schon mal alles. In Beziehungen war von "Gefährliche Freundin", "Letzter Tango in Paris" bis "Gwendolyn" bereits jede Variante vertreten. Und der Rest vom Leben? Von "Barfly" bis "Der Spieler" war ich schon gut dabei. Ich brauche keine Affekt-Substitution durch Medien. Ich sitze nicht im Kino und seufze innerlich bei Szenen und denke mir "...ach, das würde ich auch gerne mal erleben....". Große Gefühle, stürmische Höhen, dunkle Tiefen, bizarre Settings habe ich ausreichend. Danke.
Was ich nicht habe ist: Frau und Kind, Haus und Hof. Ein langweiliger Job, der mir aber bis ans Ende meiner Arbeitstage ein mindestmaß an Sicherheit gibt solange ich nicht gerade dem Chef eine in die Fresse haue. Was ich nicht habe ist die gepflegte Langeweile des Mittelmaßes, die auch auf Sicherheit und Stabilität gründet.
Das ist mir mit den letzten critical-life-events sehr bewußt geworden: Wenn es hart auf hart kommt, knalle ich sowas von ungebremst gegen die Wand. Da ist kein Polster, kein Netz, nicht mal eine Pappwand. Auf dem Auszug der Rentenversicherung kann ich mit Schrecken lesen, dass ich beim Eintritt ins Rentenalter ungefähr 5 Euro mehr als HARTZ IV haben werde. Ich habe keine Sicherheiten, keine Stabilität und kein ruhiges Altersleben vor mir.
Meine invertierte Midlife-Crisis meint: "... das Leben war bisher echt interessant, aber, ist das was ich jetzt sehe alles, was ich vor mir habe, nämlich nichts?"
Ich könnte jetzt, analog dem, wie ein Versicherungsmakler mit gutem Einkommen aber ohne Stil und mit heriditärem Haarausfall, der anfängt Snowboard zu fahren, sich ein Porsche-Cabrio zulegt und versucht irgendwelche Fickbrötchen bei Apres-Ski klarzumachen, versuchen, das Ruder herumzureißen. Eifrig, beflissen und zukunftsorientiert sparsam, altersangemessen handelnd, verantwortungsbewußt und mit adäquater Normkompatibilität das sich abzeichnende Unglück, irgendwann mit "Nichts" dazustehen abzuwenden.
Auch hier wäre das Tragische nicht der Versuch, sondern das erbärmliche Scheitern am Versuch. Dafür ist es nämlich auch nach reiflicher Überlegung dem Grunde nach zu spät.
Die Einen haben teuer dafür bezahlt, jetzt an gut bürgerlichen Werten "alles erreicht" zu haben und bereuen dafür, was sie alles nicht hatten.
Ich habe nach bürgerlichen Standards nicht viel erreicht. Das werde ich mit Sicherheit irgendwann mal sehr bedauern. Aber, bereuen was ich alles nicht gemacht oder gehabt habe, bereuen werde ich kaum etwas müssen.
Und deswegen werde ich, solange ich es noch kann, nicht kürzer treten, sondern noch "eins drauflegen".
Auf die "richtige Spur" hat mich ursprünglich J. mit ein paar Anmerkungen während eines Telefonates gebracht. Damit kam der Stein ins rollen bzw. Denkprozesse in Gang. Das Ergebnis kann sich insofern sehen lassen, da es von allen Seiten mit denen ich es erörtert habe große Zustimmung findet.
Zuerst werfen wir mal einen Blick auf die normale Midlife-Crisis:
Existenzen, die ein sehr normales Leben geführt haben - Bildung, Ausbildung, Arbeit (gerne mal eine öde oder wenig prickelnde wie Sozialversicherungsfachangestellter oder Bankkaufmann), danach "das Übliche", nämlich feste Freundin, Heirat, Kinder, Häuschen mit Vorgarten oder Eigentumswohnung - ziehen eine Zwischenbilanz.
Was sie sehen: Das Leben war und ist ein langer, eher ruhiger Fluß. Gelegentlich ein paar Stromschnellen. Geburt des ersten Kindes und die ersten paar Jahre danach ständig pleite und übermüdet. Oder mit den Raten für das Häuschen hat man sich verkalkuliert. Aber ansonsten, eben besagter Fluß. Große Gefühle? Aus der Konserve: Film und Fernsehen. Beim All-Inclusive-Urlaub ein Zimmer mit kaputter Klimaanlage bekommen zu haben, schon das größte Drama im Jahr.
Wild sein? Klar, einmal im Jahr an Karneval mal so richtig verwegen ein Piratenkostüm übergestreift und im Gedränge der Kellnerin heimlich in den Hintern gekniffen. Manche sind auch deutlich verwegener. Fußballstadion, alle zwei Wochen Sitze rausreissen; am Montag dann wieder Kfz-Kredite ablehnen oder Dispoverzug bearbeiten.
Dabei jedoch immer das Gefühl, irgendwie fehlt etwas im Leben.
Und dann wird diesen Leuten plötzlich klar, dass die Bahre näher ist als die Wiege. Sie ziehen eine Zwischenbilanz: Frau, Kinder, Haus und Hof, ein paar Kredite ein Jahreswagen der bald abbezahlt ist, ein sicherer und langweiliger Job, die Altersvorsorge in trockenen Tüchern. Insgesamt ruhiges Fahrwasser.
Das Ergebnis ist die Frage: "Soll das wirklich mein ganzes Leben gewesen sein?"
Dann kauft sich das Midlife-Crisis-Opfer plötzlich ´ne Harley oder einen Sportwagen; packt seine Led Zeppelin-Platten oder Rolling Stones-CDs wieder aus der Mottenkiste, versucht seine Chips-und-Bier-auf-der-Couch-Plautze in Lederklamotten zu pressen, oder - die Spielart gibt es ja auch - hört auf zu Joggen oder wie ein bescheuerter Fahrrad zu fahren und haut sich statt Diätgrütze plötzlich wieder Pizza und Bier rein.
Dann muss noch eine 20 Jahre jüngere Freundin her, um die verpassten, langweiligen Dezenien zu überbrücken und nachzuholen.
Und nichts davon klappt. Alles was dabei herauskommt ist der jämmerlich scheiternde Versuch auf einmal cool und verwegen zu sein, wo vorher nur Spießbürgerlichkeit und Mittelmaß war.
Die eigentliche Krise bei der Midlife-Crisis ist nicht, zu versuchen plötzlich zu werden was man nie war. Es ist das Scheitern.
Und was hat es mit meiner invertierten Midlife-Crisis auf sich?
Meine Bahre ist mir mittlerweile auch deutlich näher als die Wiege.
Wenn ich Zwischenbilanz ziehe komme ich zu folgendem Ergebnis:
Beruflich habe ich bis heute mehr potentielle Karrieren nicht ergriffen weil sie zum kotzen waren, oder sie in die Tonne getreten weil ich zu dumm oder arrogant
Ich hatte von "Emergency Room" über "Stromberg" und "Monk" bis "Noble House" schon mal alles. In Beziehungen war von "Gefährliche Freundin", "Letzter Tango in Paris" bis "Gwendolyn" bereits jede Variante vertreten. Und der Rest vom Leben? Von "Barfly" bis "Der Spieler" war ich schon gut dabei. Ich brauche keine Affekt-Substitution durch Medien. Ich sitze nicht im Kino und seufze innerlich bei Szenen und denke mir "...ach, das würde ich auch gerne mal erleben....". Große Gefühle, stürmische Höhen, dunkle Tiefen, bizarre Settings habe ich ausreichend. Danke.
Was ich nicht habe ist: Frau und Kind, Haus und Hof. Ein langweiliger Job, der mir aber bis ans Ende meiner Arbeitstage ein mindestmaß an Sicherheit gibt solange ich nicht gerade dem Chef eine in die Fresse haue. Was ich nicht habe ist die gepflegte Langeweile des Mittelmaßes, die auch auf Sicherheit und Stabilität gründet.
Das ist mir mit den letzten critical-life-events sehr bewußt geworden: Wenn es hart auf hart kommt, knalle ich sowas von ungebremst gegen die Wand. Da ist kein Polster, kein Netz, nicht mal eine Pappwand. Auf dem Auszug der Rentenversicherung kann ich mit Schrecken lesen, dass ich beim Eintritt ins Rentenalter ungefähr 5 Euro mehr als HARTZ IV haben werde. Ich habe keine Sicherheiten, keine Stabilität und kein ruhiges Altersleben vor mir.
Meine invertierte Midlife-Crisis meint: "... das Leben war bisher echt interessant, aber, ist das was ich jetzt sehe alles, was ich vor mir habe, nämlich nichts?"
Ich könnte jetzt, analog dem, wie ein Versicherungsmakler mit gutem Einkommen aber ohne Stil und mit heriditärem Haarausfall, der anfängt Snowboard zu fahren, sich ein Porsche-Cabrio zulegt und versucht irgendwelche Fickbrötchen bei Apres-Ski klarzumachen, versuchen, das Ruder herumzureißen. Eifrig, beflissen und zukunftsorientiert sparsam, altersangemessen handelnd, verantwortungsbewußt und mit adäquater Normkompatibilität das sich abzeichnende Unglück, irgendwann mit "Nichts" dazustehen abzuwenden.
Auch hier wäre das Tragische nicht der Versuch, sondern das erbärmliche Scheitern am Versuch. Dafür ist es nämlich auch nach reiflicher Überlegung dem Grunde nach zu spät.
Die Einen haben teuer dafür bezahlt, jetzt an gut bürgerlichen Werten "alles erreicht" zu haben und bereuen dafür, was sie alles nicht hatten.
Ich habe nach bürgerlichen Standards nicht viel erreicht. Das werde ich mit Sicherheit irgendwann mal sehr bedauern. Aber, bereuen was ich alles nicht gemacht oder gehabt habe, bereuen werde ich kaum etwas müssen.
Und deswegen werde ich, solange ich es noch kann, nicht kürzer treten, sondern noch "eins drauflegen".
Randolph Carter - am Mi, 24. Sep. 2014, 20:29
pathologe meinte am 25. Sep, 07:22:
Die
Frage: "Wem will ich mal mein Lebenswerk/meine Bücher/meine Erkenntnisse vererben?" stellt sich Ihnen ja nicht, daher ist Ihre Vorgehensweise logisch. Live to the max. Es wird niemanden geben, der Sie betrauert. Aber auch niemanden, der Ihnen ob Ihres Lebenswandels Vorwürfe macht.(Vielleicht aber auch: im Moment noch niemanden)
Randolph Carter antwortete am 29. Sep, 13:10:
Vorwürfe ob meines Erdenwallens...
... habe ich genug. Ich gebe nur nicht all zu viel darauf.
Und ein klein wenig betrauen würden mich einige Wenige (auf die ich auch Wert lege) wohl schon.
Glaube ich.
kontor111 meinte am 26. Sep, 11:50:
Lieber Randolph Carter, Sie sind ein kluger Mensch.Wer dieses Submissivitätsgen nicht hat, wird zum Seiltänzer ohne (soziales)Netz und doppelten Boden. Da heißt es, sehr bewußt zu gehen. Das darf schon mal Furcht vor dem tiefen Fall auslösen.
Ich gebe zu, dass sich der Blick in die Tiefe auch nicht besser anfühlt, als sich mit beiden Beinen auf der Erde durchs Leben zu schwindeln.
Vermutlich geht es auch gar nicht darum, sich "besser" oder "vernünftiger" sondern "wahrhaftiger" zu fühlen.
Sie fühlen sich.
DAS ist eine seltene Gabe.
Randolph Carter antwortete am 29. Sep, 13:13:
Ja. Ich fühle mich.
Und da ist selbst schlecht oder nur so leidlich gar nicht so übel. Ganz dem entsprechend, wie es Erich Kästner einst ausführte.